Die beruhigende Wirkung des Lavendeldufts scheint in Köln-Ehrenfeld an seine Grenzen gestoßen zu sein. Zumindest das hektische Leben in der Venloer Straße konnte die Anpflanzung des lila blühenden Strauches in Baumscheiben und Blumenkübeln nicht stoppen. Die Flucht vor dem Treiben gen Westen gelingt am besten über die Low Line: Der Weg auf dem ehemaligen Bahndamm wird begleitet von Obstbäumen und Beerensträucher, eine produktive Allee. Auf den ehemaligen Brachflächen links und rechts wird in Gemeinschafts- und Kleingärten Gemüse gezogen. Der Großstadttrubel ist spätestens dann vergessen, wenn man den Weinberg Alter Güterbahnhof erreicht hat. Auf einem Lärmschutzwall baut Biowinzer Hans-Peter Müller die rote Traube Regent an. Zugegebenermaßen ist diese Schilderung noch eine Vision – an deren Verwirklichung aber kräftig gearbeitet wird. Das Design Quartier Ehrenfeld (DQE) nutzt die Möglichkeiten der Urbanen Landwirtschaft zur Stadtteilentwicklung.

Anbau des Ehrenfelder Feldsalat
Anbau des Ehrenfelder Feldsalat

Dabei ist dieses Projekt keins, das sich in erster Linie dem Urban Gardening oder der gesunden Ernährung verschrieben hat. Das DQE möchte das ehemalige Arbeiterviertel Ehrenfeld zu einem dynamischen Zentrum für junges internationales Design entwickeln. Oder wie Sabine Voggenreiter, die Projektinitiatorin, es auch formuliert: „Wir wollen zusammen mit den Kreativen den Stadtteil von unten entwickeln.“ Dabei spielt der Designbegriff nicht nur in den Zielvorstellungen eine Rolle: „Wir gestalten soziale Prozesse und Inhalte. Diese Stadtgestaltung ist auch Design“, so Voggenreiter. Entstanden sind so unter anderem das Festival „pdf – Popdesignfestival“ und das Netzwerkprojekt „MODus“. Das Designquartier Ehrenfeld versteht sich dabei mal als Impulsgeber, mal als Umsetzer und manchmal auch nur als Rahmen. Teilweise würde es reichen einzuladen und die Interessen zu erfragen, damit ein Projekt entsteht, sagt Voggenreiter. Planung und Aktion finden gleichzeitig statt. DQE und die Ehrenfelder entwickeln Ideen, das DQE ist die Verbindungsstelle zu Politik und Wohnungsunternehmen. „Ehrenfeld ist kein Marketinggag, sondern ein inzwischen bereits gut etabliertes Netzwerk in der internationalen Szene“, resümiert das DQE.

Industrie- und Arbeiterstadtteil im Umbruch

Ehrenfelder Feldsalat zu verschenken
Ehrenfelder Feldsalat zu verschenken

Ehrenfeld war ab Mitte des 19. Jahrhunderts blühender Industriestadtort. In Köln fehlte der Platz für neue Industrien, so dass man hierher an den eisernen Rhein auswich. Nach dem Krieg wurde auch in Ehrenfeld der Platz knapp. Die Schwerindustrie zog weiter ins Umland, andere Betriebe mussten aus wirtschaftlichen Gründen schließen. Der Arbeiterstadtteil entwickelte sich seit den 1970er zu einem Problemquartier: Die Arbeitslosenquote stieg, Einzelhandel und Gastronomie zogen sich zurück, Häuser verwahrlosten. In den 1990er Jahren zogen die billigen Mieten Studenten und Kreative an. Brachen wurden von Kulturschaffenden entdeckt, in Häuser wurde wieder investiert, Gentrifizierung setzte ein. Heute ist Ehrenfeld ein bunter Mix aus Brachflächen und Neuentwicklungen, aus Ramsch und Schick, aus strukturschwach und aufstrebend. Die Arbeitslosenquote liegt nur noch leicht über dem Kölner Durchschnitt, der Ausländeranteil bei etwa 25%. Mit der Zentralmoschee Köln entsteht gerade einer der prägnantesten Gebäude des Stadtteils.
In den Ideen des Design Quartiers Ehrenfeld spielte die urbane Landwirtschaft von Beginn an eine Rolle. Von der Resonanz auf das Thema war Sabine Voggenreiter erstaunt: „Das das Interesse in Ehrenfeld an Urban Gardening so groß ist, das hat sich erst in den Workshops mit der Community herausgestellt.“ Im September 2010 wurde in Exkursionen und einem zweitägigen Workshop mit Prof. Katrin Bohn (TU Berlin) und Landschaftsarchitekt Dirk Melzer unter dem Titel „Ehrenfeld, was isst Du?“ erste Möglichkeiten ausgelotet. Eine Fortsetzung fand die Arbeit in der Veranstaltungsreihe „Ehrenfelder Frühling“ im Mai 2011. Mit Ausstellungen, Vorträgen und Workshops näherte man sich hier der Landwirtschaft in Ehrenfeld weiter an.

Obsthaine hinterm Wendehammer

Fast Sinnbildlich für die Parallelität von Aktion und Planung steht die Verwirklichung des Projektes Obsthain Grüner Weg. Der Grüne Weg liegt in einem der Gewerbegebiete Ehrenfelds und hat noch nicht viel Grünes: Aldi rechts, Getränkemarkt links, am Ende ein großer Baumarktparkplatz. Hier plant die GAG Immobiliengesellschaft auf einer Brache ein neues Wohnquartier. Das DQE hat damit begonnen in einem Obsthain die zukünftigen Bäume der Siedlung heranzuziehen. 30 Bäume stehen in mobilen Pflanzcontainern auf dem Gelände – und zeigen schon jetzt: Hier entwickelt sich etwas. Die Bäume sind Apfel- und Birnenbäume alter Sorten, unten ihnen sprießt Gemüse aus der Erde. Mit vorschreitender Siedlungsentwicklung werden diese Bäume nicht verdrängt, sondern bekommen ihren Platz in den neuen Straßen. So wird eine Zwischennutzung zum kreativen Teil der Dauernutzung.

Obsthain Grüner Weg
Obsthain Grüner Weg

Die Ernte der Obstbäume wird in Zukunft das Angebot von lokal produzierten Lebensmitteln in Ehrenfeld bereichern. Dass schon heute das Angebot größer und vielfältiger ist, als man für ein Quartier in der Metropole vermuten könnte, stellt man beim Blick in den Führer „Made in Ehrenfeld: Essen“ fest. Lokales türkisches Brot und italienische Wurst aus Ehrenfeld, den eigenen Honig und Bier aus der kleinsten Brauerei Kölns sind nur ein paar der Produkte von Ehrenfelder Produzenten. Gesammelt wurden die lokalen Konsumgelegenheiten im Rahmen eines Stipendiums des DQE. Einen Führer anderer Art erarbeiten die Ehrenfelder gerade gemeinsam im Netz: das Kräuterwiki. In der Veranstaltungsreihe „Adoptiert Kräuter!“ haben eine Heilpraktikerin und eine Kräutergärtnerin Auskunft zu Wirkung und Anbau von Heilpflanzen gegeben. Wer jetzt Erfahrungen mit den Heilpflanzen gesammelt hat, ist eingeladen sie im Kräuterwiki mit seinen Ehrenfelder Nachbarn zu teilen.

Kölsche Weinberge

Welches Terroir hat der alte Ehrenfelder Güterbahnhof? Vor diese Frage sah sich der Biowinzer Hans-Peter Müller vom Weingut Brühler Hof gestellt. Laut Sabine Voggenreiter war sein Urteil, dass Boden und Klima für den Anbau von Rotweintrauben durchaus geeignet sind. Im Ehrenfelder Frühling wurde das Projekt präsentiert, die Rebzeilen künstlerisch simuliert und vor allem wurde probiert, wie denn der Wein mal schmecken könnte. Ein Weinberg braucht Zeit bis er gewachsen ist und produzieren kann. Es sah so aus als hätte man die auf einer Brache im Schatten der Bahnstrecke Köln-Aachen. Doch mittlerweile hat der Eigentümer gewechselt, das Gelände soll entwickelt werden. Sabine Voggenreiter freut sich darüber, dass es wahrscheinlich gelingt den Weinberg als Bepflanzung eines Lärmschutzwall in diese Entwicklung zu integrieren.

Weinberg alter Güterbahnhof
Weinberg alter Güterbahnhof

Schon in den ersten Workshops fiel den Ehrenfeldern auf, dass große Teile ihres Stadtteils für die Bewohner nicht erschlossen sind. Gewerbegebiete und große Brachen sind weitgehend unzugänglich oder nur durch Trampelpfade erschlossen. Warum nicht die alten Trassen der Güterbahnen zum neuen Rückgrat des Stadtteils machen? Die Idee einer Low Line wurde geboren. Ein Park soll entstehen, der sich durch Ehrenfeld zieht. Bepflanzt nicht mit Zierpflanzen, sondern mit Obstbäumen und Beerensträuchern. Links und rechts sollen Gärten entstehen, zum Teil als temporäre zum Teil als Dauernutzung.

Das Design Quartier Ehrenfeld ist nicht angetreten um Ernährung zu verändern, sondern möchte einen Stadtteil entwickeln. Aus der Beschäftigung mit dem Stadtteil, den Bedürfnissen und Idee der Ehrenfelder ist Ernährung zum Thema geworden. Das DQE nutzt Aktionen mit urbaner Landwirtschaft und dessen große Symbolkraft um Entwicklungsbedarf und -möglichkeiten deutlich zu machen. „Wir sind nicht so naiv, dass wir denken, wir könnten Ehrenfeld zum Selbstversorger machen“, betont Sabine Voggenreiter. „Wir möchten gemeinsam die Stadt gestalten.“ Die mobilisierende Wirkung von urbaner Landwirtschaft ist groß, die Menschen haben ein Bedürfnis sich mit ihrer Ernährung zu beschäftigen. Das Design Quartier Ehrenfeld nutzt das Thema des Anbaus von Lebensmitteln um sich mit den vielen untergenutzen und im Umbruch befindlichen Flächen des Stadtteils auseinanderzusetzen. Über die urbane Landwirtschaft lassen sich Themen wie Klimawandel, Ernährungssicherheit diskutieren, soziale und interkulturelle Aspekte des Zusammenlebens in Ehrenfeld verdeutlichen. Mit Landwirtschaft in der Stadt lassen sich neue (und alte) Formen des wirtschaftlichen Austauschs erproben und neue Möglichkeit der Erwerbsarbeit testen. Das DQE ist über ungenutzte Flächen und die Lust der Menschen am gärtnerischen Gestalten auf Urban Gardening aufmerksam geworden. Es ist aber nicht in der Diskussion von Anbaumethoden stecken geblieben: Urbane Landwirtschaft kann vieles besser als Lebensmittel produzieren.

Karte Ehrenfeld

Links
Homepage DQE
Urban Agriculture in  Ehrenfeld von Marie-Helen Scheid
Made in Ehrenfeld: Essen
Kräuterwiki