Wenn es um Ernährung in der Stadt, eine kritische Diskussion des aktuellen Ernährungssystems und um Alternativen dazu geht, wird inzwischen die urbane Landwirtschaft von Medien, Aktivisten und Wissenschaftlern stets prominent präsentiert. Aktuelle Diskussionen wie bspw. um den Mietvertrag des Prinzessinengartens zeigen, dass die Themen urbaner Gärten weit über Obst und Gemüse hinausgehen. Um in der gesamtstädtischen Perspektive einen Nutzen der urbanen Landwirtschaft für den städtischen Raum zu erkennen, müssen die vielen anderen Produkte neben den Lebensmitteln mit in Betracht gezogen werden – wie Bildung, sozialer Zusammenhalt, Raumgestaltung und Mobilisation. Urbane Landwirtschaft kann vieles besser, als Lebensmittel zu produzieren.

„Die Wiederentdeckung des Verlorengegangenen, des Kontakts mit der Erde und ihren Früchten, des Zeitwohlstands, der eigenen Gestaltung von Nahräumen und Sozialräumen – all diese individuellen Strategien aus der Zivilgesellschaft geben wichtige Impulse für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung […].” (Müller 2011: 49)

Urbane Landwirtschaft für die Stadt
Urbane Landwirtschaft für die Stadt

Was bringt urbane Landwirtschaft für die Stadt?

1. Die urbane Landwirtschaft ist ein Bildungsmedium, weil sie den Gärtnern und ihrem Umfeld einen anderen Umgang mit Lebensmitteln und Ernährung aufzeigt. Die eigene Produktion und Verarbeitung hat die Chance, Verständnis von und Wertschätzung für Lebensmittel zu steigern. Der Aufwand, die Saisons und der Geschmack können erlebt werden; es werden Qualitäten der Lebensmittel jenseits der Handelsqualität erfahrbar.

2. Die urbane Landwirtschaft ist sozialer Kitt, indem sie Menschen in einer sehr ursprünglichen Arbeit zusammenführen kann. Viele bestehende Gemeinschaftsgärten fördern soziale Beteiligung und tragen zur Bildung lebendiger Gemeinschaften und Quartiere bei. Der Allgemeinheit stellen sie gemeinschaftlich gestaltete und gepflegte Grünflächen zur Verfügung. Dem Individuum geben sie Möglichkeiten zur Entfaltung und Entwicklung.

3. Die urbane Landwirtschaft ist ein Raumgestalter. Für die Städte entstehen durch urbane Landwirtschaft Projekte, „die das Flächenangebot auf neuartige, oft unkomplizierte und kostensparende Art und Weise gestalten und benutzen.“ (BBR 2004: 5) Für die Bürger ist urbane Landwirtschaft eine sehr selbstbestimmte Form der Raumgestaltung.

4. Urbane Landwirtschaft ist ein Mobilmacher, durch den Menschen sich mit städtischen Räumen auseinandersetzen. Ernährungsthemen liegen im Trend und erzeugen in der Bevölkerung und in den Medien große Aufmerksamkeit. Viele Menschen haben Lust, sich aktiv mit ihren Lebensmitteln auseinanderzusetzen. Das ist eine Dynamik, die auf Verbes-serung der eigenen Lebensbedingungen und des eigenen Umfelds gerichtet ist und die für Stadtentwicklungsprojekte genutzt werden kann.

Urbane Landwirtschaft zeigt vielfältiges Potenzial für die Stadtentwicklung, weit über die Produktion von Lebensmitteln hinaus. Hier aus Stadtplanungssicht das vordergründige Motiv der Gärtner, den Lebensmittelanbau, in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, greift zu kurz: Bei der Produktion von Lebensmitteln im urbanen Raum geht es um Mitwirkung und Mitbestimmung, geht es um Raumaneignung und -gestaltung, geht es um das Ausprobieren neuer Arbeits- und Lebensformen, geht es letztlich um Empowerment und neue Governance-Ansätze. So ungewohnt und peripher das Thema Anbau von Gemüse für die moderne Stadt zu sein scheint, so zentral sind die Themen, die urbane Landwirtschaft für deren zukünftige Entwicklung thematisiert.

Quelle: Philipp Stierand (2012): Stadtentwicklung mit dem Gartenspaten. Umrisse einer Stadternährungsplanung. Literaturnachweise dort.