Die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung endet heute oft in einem Appell an die Verantwortung des Verbrauchers. Doch ist „bewusstes Einkaufen“ die Lösung für die aktuellen Umwelt- und Klimaprobleme? In seinem Buch „Ende einer Illusion: Warum ökologisch korrekter Konsum die Umwelt nicht retten kann“ stellt Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestages, die Doktrin des nachhaltigen Konsum in Frage.
„Es ist eine gefährliche Illusion und bloßer Selbstbetrug, die Wende zur Nachhaltigkeit allein oder auch nur hauptsächlich von den Konsumenten und vom privaten Umwelthandeln zu erwarten.” (S. 14)
Nachhaltiger Konsum ist eine Notwendigkeit, doch die aktuelle Diskussion führt – in den Augen von Grunwald – in eine falsche Richtung: Der individuelle Konsument könne und wolle die alleinige Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nicht tragen. Viele Ratschläge sollen dem Verbraucher bei einem verantwortungsvollen Konsum helfen. Massenhaft sind Ideen entwickelt worden um die Konsumenten zu überzeugen, überreden oder zu überlisten. Als ein Beispiel führt Grunwald die Ernährung an.
Die Ratschläge sind zahlreich: auf die Herkunft und ökologische Herstellungsweise der Produkte achten, möglichst regionale Lebensmittel einzukaufen, den Fleischkonsum zu reduzieren, auf Qualität zu schauen statt auf den niedrigsten Preis, achtsam mit Lebensmitteln umzugehen und dafür zu sorgen, dass möglichst wenig weggeworfen werden muss. (S. 37)
Der Weg die Verbraucher zu informieren, weiterzubilden, mit Appellen und moralischem Druck zu beeinflussen ist in der Vergangenheit ins Leere gelaufen. Grunwald sieht für diesen Fehlschlag folgende Gründe:
- Das Mobilisierungsproblem: Damit nachhaltiger Konsum wirken kann, müssten sich die Konsumenten quasi schwarmintelligent an einer übergeordneten Idee orientieren. Diese breite und globale Ausrichtung des privaten Konsums ist nicht absehbar.
- Der Alltagstrott: Die Anstrengungen des nachhaltigen Konsums müssen mit vielen anderen Anstrengungen des Alltags um die Kraft des Konsumenten konkurrieren.
- Die Überforderung: Antworten auf Nachhaltigkeitsfragen sind fast nie einfachen Antworten. „Es kommt darauf an.“ Pauschale Lösungen und einfache Handlungsstrategien gibt es selten.
- Die undurchsichtigen Systemeffekte: „Zielkonflikte und möglich paradoxe Effekte gehören leider zu komplexen Geschäft der Nachhaltigkeit. […] Allzu leicht wird übersehen, dass möglicherweise das individuelle Handeln ganz andere Folgen hat als die erwünschten.“ (S. 72)
- Die Bumerang- und Reboundeffekte: Technische Fortschritte von Produkten hin zu Umweltschutz und Ressourcenschutz können durch veränderte Ansprüche und einen erhöhten Lebensstandard der Konsumenten aufgehoben werden. So werden Automotoren zwar immer effizienter, die Autos aber immer größer und komfortabler – im besten Fall ein Nullsummenspiel, aber kein Nachhaltigkeitsgewinn.
- Moden und Schwankungen im Konsumverhalten: „Nachhaltigkeit ist eine langfristige Aufgabe. Konsumverhalten ist jedoch ausgesprochen kurzfristig.“ (S. 74)
- Die Trittbrettfahrer: Freiwilliger, nachhaltiger Konsum macht es anderen möglich dadurch entstehende Freiräume zu nutzen. Das ist zumindest ein moralisches Problem, könnte durch Trendsetting Konsumtrends aber auch umdrehen.
Den privaten Konsums mit der öffentlichen Aufgabe einer nachhaltigen Entwicklung aufzuladen, überfordert die Tätigkeit des Konsumierens. Die Aufgabe der Nachhaltigkeit ist nach Grunwald eine Herausforderung für die Öffentlichkeit und das politische System. Notwendig sind nachhaltigkeitsförderliche Eingriffe in den Konsum, also Gesetze, Ge- und Verbote, die durch einen transparenten und demokratischen Beratungs- und Entscheidungsprozess legitimiert sind.
„Freiheiten der Bedürfnisbefriedigung in einem liberalmarktwirtschaftlichen System werden dadurch eingegrenzt, dass Schädigungen Anderer einschließlich zukünftiger Generationen zu vermeiden sind. Viele Gesetze, Ge- und Verbote und andere Regulierungen haben genau den Sinn, Nachteile und Rechtsverletzungen zu vermeiden. Doch nachhaltiger Konsum will doch auch nichts anderes, als die Rechte zukünftiger Generationen zu wahren.” (S. 84)
Weiter schreibt Grunwald:
„Sicher tragen die Konsumenten einen Teil der Verantwortung und können wohl auch durch bewussten Konsum hier und da etwas ändern. Aber es gibt auch einen anderen Teil der Verantwortung, und die liegt nicht im privaten Bereich, sondern in den öffentlichen Aspekten des Konsums. Es sind die Rahmenbedingungen, in denen ein gehöriges Maß an Verantwortung für den Konsum steckt.” (S. 91)
Grunwald sieht den Schlüssel für die nachhaltige Entwicklung nicht bei den Konsumenten, sondern bei den Bürgern und ihrem politischem Handeln. In ihrer „Rolle“ als Bürger haben Verbraucher die Möglichkeiten das politische System und seine Entscheidungen in eine nachhaltige Richtung zu beeinflussen.
Armin Grunwald (2012): Das Ende einer Illusion – warum ökologisch korrekter Konsum die Umwelt nicht retten kann. Oekom Verlag, München.