Unterstützen, ermöglichen und vernetzen das sind die Schlagworte, mit denen ich kommunale Ernährungspolitik zusammenfasse. Es sind diese fördernden Maßnahmen, welche die Idee der Ernährungspolitik auf der lokalen Ebene über die Instrumente auf die Straße bringen. Sie entscheiden über die Wirksamkeit und Akzeptanz der kommunalen Ernährungspolitik.

Beachte Sie auch Teil 1 „Faszination Lebensmittel“ und Teil 2 „Die richtigen Werkzeuge“ der Artikelreihe zur kommunalen Ernährungspolitik!

Die Diskussionen rund um die Ernährungspolitik beginnen oft mit einer sehr grundsätzlichen Frage: Darf der Staat zu beeinflussen versuchen, was die Bürger essen? Diese Diskussionen verlaufen oft besonders emotional und grundlegend, da die Ernährung tief in der Kultur und unserem Selbstbild verwurzelt ist. Unser Ernährungsverhalten ist nicht angeboren, zumindest nicht, was die Vorliebe für Schnitzel, Getreidebratling, Pakrika- oder Grünkohlchips angeht. Das ist erlernt, wird von Kultur und Umwelt geprägt – und auch auch schon immer von der Politik beeinflusst.

Die lokalen Rahmenbedingungen unserer Ernährung, das Ernährungssystem, werden gestaltet durch die Entscheidungen der Kommunalpolitik. Wirtschaftsförderer, Stadtplaner, Sozialpolitiker und Kulturpolitiker beeinflussen mit ihren Entscheidungen, wie das lokale Ernährungssystem und damit wie die Rahmenbedingungen für unsere Ernährung gestaltet sind. Das passiert jedoch unbewusst und damit ungelenkt und zufällig. Genau diese Einflüsse muss die Ernährungspolitik nutzen und diese bislang ungelenkten Effekte zum Wohle von Menschen, Stadt und Umwelt einsetzen. Nicht (viel) mehr und nicht weniger.

Es ist das Wesen unserer Demokratie, dass die Gesellschaft im Diskurs auslotet, welche Maßnahmen notwendig oder unzulässig sind. Diesem Diskurs muss sich auch die kommunale Ernährungspolitik stellen. Kommunale Ernährungspolitik unterstützt, ermöglicht und vernetzt. Das habe ich oben schon betont. Verbote spielen so gut wie keine Rolle, das Ermöglichen steht im Mittelpunkt. Kommunale Ernährungspolitik schafft ein lokales Biotop, in dem sich gute Ansätze im Sinne der Ernährungspolitik entwickeln und vernetzen können.

Kommunale Ernährungspolitik: Magisch!
Kommunale Ernährungspolitik: Magisch!

Interventionen kommunaler Ernährungspolitik

Bei der Analyse von Handlungsprogrammen und (noch besser) beim Entwickeln eigener Ernährungsstrategien hilft es sich zu vergegenwärtigen, welche Art von Maßnahmen man vor sich hat. Sehr nützlich finde ich dafür eine Gliederung aus der klassischen auf den Konsum konzentrierten Ernährungspolitik, welche die Maßnahmen nach der Eingriffstiefe (wie ich als Raumplaner sagen würde) gliedert. Die klassische, konsumorientierte Ernährungspolitik lässt sich u. a. über ihre Eingriffstiefe gliedern. Auf Speiseräume wurde die Leiter der Ernährungspolitik ausführlich dargestellt: Die verschiedenen Stufen dieser Leiter bewegen sich dabei von keinen Maßnahmen über die informierte und erleichterte Auswahl, die gelenkte Auswahl bis zur limitierten Auswahl.

Die Basis der Leiter ist etwas, das (scheinbar) die niedrigste Eingriffstiefe hat: das Nichtstun. Doch auch Nichtstun von Politik, wenn also Entwicklungen ungesteuert sich selbst überlassen werden, hat Auswirkungen und erfordert somit eine Begründung: Warum ist es sinnvoll, die aktuellen Entwicklungen weiter laufen zu lassen?

Leiter der Ernährungspolitik

Verhaltensänderung durch komplette Verbote unerwünschter Produkte
z.B. Einschränkung von Alkoholgenuss im öffentlichen Raum, tageweiser Verbot von Fleisch in der Gemeinschaftsverpflegung

Verhaltensänderungen durch neue Standards durchsetzen
z.B. Beschaffungsrichtlinien in der Gemeinschaftsverpflegung, Marktsatzung zugunsten regionaler Produkte, Höchstgehalt bestimmter Inhaltsstoffe

Steuern, Abgaben auf unerwünschte Produkte / Verhaltensweisen
z.B. Softdrink-Steuern, Schockbilder auf Verpackungen

Subventionen, Bonusprogramme
z.B. Schulobstprogramme

Verhaltensänderung durch veränderte Voreinstellungen (Nudging)
z.B. Platzierungen der Lebensmittel in der Gemeinschaftsverpflegung, Gestaltung von Verpackungen

Verhaltensänderungen über Labels erleichtern, Ernährungs-Coaching
z.B. Regionalsiegel, Biosiegel, Lebensmittelampel

Entscheidungen durch Verbraucherbildung verbessern
z.B. Ernährungsbildung, Schulgärten, Kampagnen für Bio und/oder Regional

keine Maßnahmen

Kommunalpolitische Maßnahmen

Eine Sprosse höher auf der Leiter sind wir bei der wichtigsten Maßnahmengruppe: den unterstützenden Ansätzen. Sie sind das starke Feld der kommunalen Ernährungspolitik. Hier kann die lokale Ebene ihre Stärken voll ausspielen. Hier wird die Kommune zum Möglichkeitsraum einer zukunftsfähigen Ernährungspolitik.

Die unterstützenden Maßnahmen können auf alle Akteure im Ernährungssystem zielen, auf Erzeuger, Verarbeiter, auf Händler und Verbraucher. Gefördert werden Ansätze und Projekte, die im Sinne der Ziele der Ernährungspolitik sind. Außerdem werden Bedürfnisse der Akteure und mögliche Hemmnisse untersucht, um die Wirkung der unterstützenden Maßnahmen zu optimieren. Bei Akteuren, die aktuell noch nicht den Zielen entsprechend handeln, stellt sich die Frage: Was brauchen diese Akteure, um anders zu handeln und wie können sie dabei unterstützt werden?

Ähnlich stellt sich die Frage, wie die Gründung von neuen Unternehmen und Organisationen, die kommunale Ernährungspolitik unterstützen würden, gefördert werden kann.

Die Beispielmaßnahmen (siehe Kasten), die eine internationale Auswahl aus bestehenden städtischen Ernährungsstrategien sind, zeigen, dass die Vermittlung und der Austausch von Wissen zentrale Maßnahmen sind. Auch die Vernetzung der Akteure ist ein bedeutsames Feld. Ein weiteres Paket von Maßnahmen dreht sich um besonders knappe Ressourcen wie Flächen oder Geld; diese werden vermittelt oder zur Verfügung gestellt.

  • Fördere die Neugründung von landwirtschaftlichen Betrieben. Arbeite mit Organisationen zusammen, die junge Landwirte unterstützen.
  • Weiterbildung zum umweltfreundlichen Gärtnern und Lebensmittelerzeugen, zu Bienen- und Hühnerhaltung ist stadtweit gesichert.
  • Arbeite mit Wohnungsbaugesellschaften zusammen, um Flächen für den Lebensmittelanbau in neue Projekte einzubeziehen.
  • Baue ein Food-Gründerzentrum auf.
  • Unterstütze die Gründung von gemeinnützigen Unternehmen in der Lebensmittelverarbeitung.
  • Halte eine Lebensmittel-B2B-Konferenz ab, um regionale Landwirte, Verarbeiter und Händler zusammenzubringen.
  • Arbeite mit dem lokalen Einzelhandel, um regionale und nachhaltige Lebensmittel zu fördern.
  • Berufe regelmäßige Treffen zwischen Verwaltung, Händlern und anderen Akteuren (inkl. Wirtschaftsförderung) ein um Problemen und Chancen zu identifizieren und Konflikte zu entschärfen.

Die lenkenden Maßnahmen zielen im Schwerpunkt auf den Verbraucher: Ihnen soll ein vernünftiger Konsum möglichst leicht gemacht werden, im Zweifel soll die Wahl auf die gesunde, nachhaltige Lösung fallen. Hier geht es darum, in vielen Räumen und Institutionen eine nachhaltige, gesunde Ernährungsoption erst überhaupt einmal verfügbar zu machen. Wer (wie dankbarerweise ich) die Möglichkeit hat, eine gute Kantine zu besuchen, der kann schnell merken, wie eine solche Gemeinschaftsverpflegung zum Rückgrat der eigenen gesunden und ökologischen Ernährung wird. Das Gegenteil darf man erleben, sobald man auf Reisen geht: Unabhängig vom Verkehrsmittel ist eine vernünftige Verpflegung in Bahnhöfen, Raststätten oder Flughäfen quasi unmöglich.

Im Bereich der Lenkung geht es mit Blick auf Erzeuger, Verarbeiter und Handel darum, Flächen, Räume und Gelegenheiten zu schaffen, damit diese im Sinne der kommunalen Ernährungspolitik handeln können. Über positive wie negative finanzielle Anreize wie Förderungen, Gebühren und Steuern können weitere Lenkungswirkungen erzielt werden. Im Kasten werden einige lenkende Maßnahmen aus existierenden Ernährungspolitiken dargestellt.

  • Stelle sicher, dass die Stadtentwicklungsplanung einen holistischen, nachhaltigen Ernährungsplanungsansatz verfolgt, die Notwendigkeit von landwirtschaftlichen Flächen berücksichtigt und Raum für Ernährungsinfrastruktur enthält.
  • Überprüfe neue Bauvorhaben auf die Versorgung mit gesunden, nachhaltigen Lebensmitteln. Erstelle eine Ernährungs-Checkliste für die Verwaltung, die bei Neuplanungen und Baugenehmigungen berücksichtigt wird.
  • Schaffe Anreize (bei Steuern und Gebühren), um auf Dächern Landwirtschaft zu betreiben.
  • Entwickle eine stadtweite Kleingartenstrategie mit dem Ziel eines erweiterten Angebots.
  • Erlaube alternative Handelsmodelle für Lebensmittel in Örtlichkeiten wie Nachbarschaftszentren, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden.
  • Erlaube mobilen Straßenhandel als Start-Up-Möglichkeit für sozial benachteiligte Gruppen.
  • Erstelle ein langfristiges Handlungsprogramm zur Förderung von Bauernmärkten (10-Jahres-Vision, Bedingungen für Ausweitung, Verbindungen zu größeren Märkten, Lücken in der Infrastruktur).
Kommunale Ernährungspolitik: Blur in the kitchen
Kommunale Ernährungspolitik: Blur in the kitchen

Kommunale Ernährungspolitik: Chance für die Stadt

Es gibt im Rahmen der Gesundheits-, der Landwirtschafts-, der Umwelt- und Klimapolitik starke Notwendigkeiten für eine holistische kommunale Ernährungspolitik. Und darüber hinaus gibt es noch viel mehr Chancen, die aus einer kommunalen Ernährungspolitik für Städte und Regionen entstehen. Dies wurde besonders in Teil I „Faszination Lebensmittel“ dieser dreiteiligen Speiseräume-Serie dargestellt.

Die kommunale Ernährungspolitik ist ein erprobtes Konzept. Organe und Instrumente müssen nicht neu erfunden werden. Besonders (aber nicht nur) im Ausland gibt es viel Erfahrungen mit kommunaler Ernährungspolitik. Die Zeitreihen mit Erfahrungen internationaler Städte in Teil II „Die richtigen Werkzeuge“ dieser Serie – zeigen dies eindrucksvoll. Zusammengefasst lässt sich sagen: Kommunale Ernährungspolitik braucht Institutionen. Dafür gibt es verschiedene Modelle, ein kooperativer Ansatz scheint Sinn zu machen. Es gibt verschiedene Instrumente, um Ernährungspolitik in die kommunalen Handlungsfelder zu integrieren. Praktisch bewährt haben sich speziell auf Ernährung ausgerichtete Instrumente. Es gibt unendlich viele Maßnahmen, die Ernährungsentscheidungen auf der kommunalen Ebene unterstützen und beeinflussen können. Die meisten Maßnahmen auf der kommunalen Ebene versuchen mit Informationen Akteure bei ihren Entscheidungen zu unterstützen.

Ich bin davon überzeugt, dass die kommunale Ernährungspolitik ein notwendiger Beitrag für die Entwicklung lebenswerter Städte und die Sicherung einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung ist.

Kommunale Ernährungspolitik [2/3]: die richtigen Werkzeuge

Dass Städte auf eine lokale – und teilweise öffentlich betriebene – Infrastruktur für die Lebensmittelversorgung angewiesen waren, ist noch nicht so lange her. Heute wird dagegen sogar diskutiert, ob nicht…

Kommunale Ernährungspolitik [1/3]: Faszination Lebensmittel

Ernährung gehört zur Stadt, Ernährung gehört in die Stadtpolitik! Diese Auffassung setzt sich langsam durch. Ernährung hat in der Vergangenheit und wird in der Zukunft unsere Städte maßgeblich mitgestalten. Sie…

Kommunale Ernährungspolitik [3/3]: die richtigen Maßnahmen

Unterstützen, ermöglichen und vernetzen ‒ das sind die Schlagworte, mit denen ich kommunale Ernährungspolitik zusammenfasse. Es sind diese fördernden Maßnahmen, welche die Idee der Ernährungspolitik auf der lokalen Ebene über…

 

Photocredit: Sorpresa! // Davide Gabino // CC BY-ND 2.0  Magician // Petras Gagilas // CC BY-SA 2.0 A Blur in the kitchen // John Meadows // CC BY-NC-ND 2.0

Literatur
Hepple, Bob (2007): Public health. Ethical issues. London: Nuffield Council on Bioethics.
Spiller, Achim; Zühlsdorf, Anke; Nitzko, Sina (2017): Instrumente der Ernährungspolitik. Ein Forschungsüberblick – Teil 1. In: Ernährungs Umschau 17 (3), M156-M153.