Patrick Wodni ist Koch und stellvertretender Projektleiter der Kantine Zukunft Berlin. Auf den verschiedenen Stationen seines Berufsweges von Sterne- bis Krankenhausküchen hat er erkannt, wie wichtig es ist, in der Küche das gesamte Ernährungssystem bis zur Landwirtschaft mitzudenken. In diesem Essay stellt er dar, wie dieser Blickwinkel zum Start der Transformation in der Gemeinschaftsgastronomie werden kann.

Arbeitskolleg*innen konnte ich mir während meiner beruflichen Laufbahn nur selten aussuchen. So geht es wahrscheinlich den meisten von uns. Ich hatte häufig Gelegenheit zu beobachten, welche Essgewohnheiten, Tendenzen und kulinarische Vorlieben meine Kolleg*innen mit zu Tisch gebracht haben. Diese waren, ähnlich wie die Begegnungen mit den Menschen für sich, unheimlich vielfältig. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: Ganz einig wurden wir uns nie. Wir mussten uns ja nicht nur auf Geschmack, sondern auch auf alle anderen Faktoren einigen, die seitens der Küchenteams für eine gute Mahlzeit entscheidend sind. Zigaretten und Kaffee auf der einen, Quinoa-Bowls auf der anderen Seite. Wie Dinge zubereitet werden sollten, ob sie mit den Fingern oder mit Besteck gegessen werden, adäquate Portionsgrößen, die Bedeutung des Wortes Regionalität… Fast nirgendwo waren wir uns einig. Im Team konnte jedoch immer ein gemeinsamer Nenner entwickelt werden, um einen konstruktiven Umgang mit dieser Interessenvielfalt zu finden.

Wenn wir versuchen Kantinen als Spiegel gesellschaftlicher und sozialer Tendenzen zu betrachten, zeigen diese Küchendiskussionen, in welchem Spannungsfeld wir uns bewegen. Bei zunehmend individualisierten Ernährungsgewohnheiten eine gemeinsame Mitte zu finden, ist kein leichtes Unterfangen. An kaum einem Thema scheiden sich so viele Geister wie am Essen. Beim Kantinenessen hingegen herrscht auch abseits der persönlichen Essgewohnheiten leider oft Einigkeit. Es schmeckt nicht. Doch woher kommt der schlechte Ruf des Kantinenessens und wie kann dieser von innen heraus verändert werden?

Convenience als Lösung für die Kantine?

Gemeinschaftsgastronomie hat sich über die Jahre hinweg gegenüber dem Begriff Gemeinschaftsverpflegung schon beinahe etabliert. Eine schöne Entwicklung, da dieser kleine Wandel Genuss und Ästhetik betont. Den Orten, die eine Versorgung von vielen gewährleisten, bringt er mehr Wertschätzung entgegen. Allerdings hatte dies vielerorts auch zur Folge, dass Gäste eine Auswahl und den Service auf dem Niveau eines Restaurants erwarteten. Zu Kantinenpreisen natürlich. Gastronom*innen möchten Gästewünschen nachkommen und ihre Kund*innen zufriedenstellen. Betriebsleiter*innen wünschen sich zufriedene und motivierte Mitarbeiter*innen. Hoher Kostendruck auf der einen Seite, Forderungen nach größerer Auswahl, Regionalität und Bio-Qualität auf der anderen. Diese Anforderungen sollen natürlich im Rahmen der häufig eng getakteten Zeitpläne der Küchen Platz finden, der Personal- oder Betriebsrat soll ebenfalls mit dem Angebot einverstanden sein und am Ende sollen es die Gäste auch gern essen wollen. Dazu kommen (dringend nötige) Dokumentations- und Kennzeichnungspflichten und die gesamte Fülle von administrativen Tätigkeiten. Nicht gerade eine Umgebung für kreatives Arbeiten und gestalterische Spielräume. Der Druck auf die Kantinenleiter*innen wächst also von vielen Seiten. Diese Aufzählung zeigt, dass ein unzufriedenstellendes Kantinenessen nicht zwangsläufig nur durch die Küche verursacht wird. Kantinenköch*innen sind keine einfallslosen Pommesrüttler, sondern werden vielerorts durch Restriktionen in ihrer Kreativität und in ihrem Handwerk schlichtweg ausgebremst.

Convenience-Produkte bieten für die Gäste wie auch für die Küchenleiter*innen und Mitarbeiter*innen Orientierungspunkte und eine Hilfe im Alltag. Die Arbeit ist planbarer, unabhängig von den vorhandenen Stellenschlüsseln, es kann durchgehend eine größtmögliche Auswahl gewährleistet werden und Prozesse werden stark vereinfacht. Tiefkühlware hat auch weniger Kranktage als Mitarbeiter*innen. Was erst einmal wie eine gute Lösung klingt, ist eine folgenreiche Fehlentwicklung.

Kantinen Communication
Kommunikation und Nicht-Kommunikation in der Kantine

Kantinen könnten auf eine sehr praktische Weise ein ganzes Erfahrungsfeld für Ernährung bieten. Doch aus dem Gewohnten auszubrechen ist eine harte Nuss. Neugier seitens der Gäste und eine gekonnte Umsetzung aus der Küche heraus bilden hier die Grundvoraussetzungen. Und nur gemeinsam können Kochende und Essende unter Berücksichtigung der Expertise derer die die Lebensmittel anbauen, hier eine Veränderung erzielen. Hat der Mensch sich aber erst einmal an ein schmackhaftes, gut zubereitetes Essen gewöhnt und zum Teil seines Alltags werden lassen, ist diese Entwicklung schwer wieder rückgängig zu machen. Wie kommen wir also in den Transformationsprozess und wie sollte die Kantine von morgen aussehen um persönliche und planetare Gesundheit gewährleisten und trotzdem richtig leckeres Essen anbieten zu können? Wie kann die Kantine ein Anker im Tag werden, gleichzeitig als sozialer Raum verstanden werden, sowie als Schnittstelle zwischen vielen gesellschaftlichen Schichten Anerkennung finden?

Eine Investition in die Potenziale der Menschen legt den Grundstein für die Veränderung. Wenn das Kochen nicht nur Selbstzweck ist, sondern als ein Dienst für meine Kollegen, für Schüler, Patienten etc. wahrgenommen wird, bekommt die eigene Selbstwirksamkeit eine neue Dimension. Die enorme Verantwortung die dies mit sich bringt, rückt dann mehr und mehr in den Vordergrund. Sinn und Zweck des täglichen Schaffens werden greifbar und aus der Angst vor Veränderung kann somit schnell Neugier wachsen. Durch den vermehrten Einsatz landwirtschaftlicher Rohprodukte in den Küchen entsteht wieder ein klarer Bezug zum Handwerk und durch eine intuitive Herangehensweise Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie eine Freude am Schaffen. Das steigert auch die Attraktivität aller Berufsgruppen in den Küchen und wirkt dem Mitarbeiter*innen-Mangel entgegen. Dass zusätzliche Maßnahmen, wie eine Erhöhung des Mindestlohns und eine generell leistungsgerechte Entlohnung für einen Knochenjob, entscheidende Faktoren sind, sollte nicht betont werden müssen.

Kleine Revolutionen in der Kantine

Uns sollte es nicht egal sein, dass die Wertschöpfungsketten servierter Gerichte in öffentlichen Einrichtungen, Restaurants und Kantinen aller Art in den meisten Fällen nicht zu durchschauen sind. Eine der ehrlichsten Formen dieser Intransparenz vorzubeugen, ist der direkte Bezug von regionalen, biologisch angebauten Produkten. Je nach Betriebsgröße und Standort ist dies eine große Herausforderung, doch durch die Restrukturierung des Einkaufs kann hier ein Anfang gemacht, oder eine kleine Revolution gestartet werden. Egal, ob durch den Einkauf von biologischen Schälkartoffeln über den Handel oder den Direktbezug beim Erzeuger mit gemeinsam erstellter Anbauplanung; durch all diese Bewegungen innerhalb der Großküchen wird ein Bedarf signalisiert, welcher den Wandel hin zu einer zukunftsfähigen Gemeinschaftsgastronomie effektiv vorantreibt.

Durch diese Veränderungen im Einkauf ändert sich automatisch auch die Herangehensweise ans Kochen. Ein regionales Bio-Angebot der Saison zu einem angemessenen Preis für tausend hungrige Gäste, Patient*innen und Schüler*innen lässt auch die kreativsten Köpfe qualmen. Sensorik und Haptik rücken wieder weiter in den Vordergrund, können alte Denkmuster durchbrechen und lassen eine landwirtschaftliche Perspektive auf das Küchenhandwerk seitens der Köch*innen zu. So entstehen neue Gerichte, pflanzliche Rohstoffe werden vielfältig eingesetzt und der Anteil regionaler Bio-Produkte kann ohne Mehrkosten gesteigert werden. Um eine solche Veränderung auch erfolgreich verankern und zugänglich machen zu können, braucht es eine sehr gute Kommunikation seitens der Küchen. Diese Kommunikation greift das Neue auf und macht deutlich, dass Bewährtes beibehalten wird.

Dafür müssen alle vorhandenen Schnittstellen genutzt werden, um die Veränderungen aus der Küche hinaus zum Gast zu tragen. Im Dialog können die Erneuerungsprozesse auf praktischem Wege durch die Speisen und theoretisch durch das Teilen der Hintergründe der Transformationen vermittelt werden. Im Mittelpunkt von neuem Angebot und dessen Kommunikation muss der Geschmack stehen.  Der Mut Neues zu probieren, sollte immer mit einer ansprechenden Präsentation und einem positiven Geschmackserlebnis belohnt werden. Dies ist auch der direkteste Weg Brücken zu bauen und Schwellenängste zu nehmen.

Wenn wir auf lange Sicht eine Gemeinschaftsverpflegung erreichen möchten, welche mit der Natur arbeitet, Saison und Regionalität in ihrer ganzen Fülle berücksichtigt und regionale Wirtschaftskreisläufe stärkt, müssen wir die Schwachstellen in der Versorgung immer wieder adressieren und uns in kleinen Schritten an vielen Orten diesen Zielen nähern. Langfristig kann dies Veränderungen in der Landwirtschaft bewirken, die Küchen und Kantinen mitarbeiter- und gastfreundlicher gestalten. Die Zahlungsbereitschaft für ein (Kantinen-)Essen wirkt im hohen Maße auf die gesamte Wertschöpfungskette von den Landwirt*innen bis zu den Mitarbeiter*innen an der Essensausgabe. Eine ökologische Landwirtschaft erhält Böden und Biodiversität, eine schmackhafte Mahlzeit die eigene Gesundheit und eine faire Entlohnung der Menschen, die diese Basis schaffen, beeinflusst eine ganze Fülle von Faktoren, welche die Erfahrung des (Kantinen-)Essens grundlegend zum Positiven verändern können. Der erste Impuls muss jedoch aus den Küchen kommen.

Photocredit: canteen // mini_malist // CC BY-ND 2.0  Two forms of communication // Danila Maltsev // CC BY-NC-ND 2.0